Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Inhalt:

Pinggera, Winfried (2022): Um Reformen umzusetzen, braucht es Transparenz

Winfried Pinggera ist seit 2009 Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt. Er übernahm die Leitung in einer Zeit, die durch umfassende Reformen und viele Modernisierungsbestrebungen geprägt war. Pinggera studierte Rechtswissenschaften und schloss sein Doktorat berufsbegleitend im Jahr 1995 ab. Seine Karriere startete er im familiären Gewerbebetrieb. Der Einstieg in die öffentliche Verwaltung erfolgte über die Wirtschaftskammer, wo er zuerst in einer Bezirksstelle tätig war und danach in die Präsidialabteilung wechselte. Von dort erreichte ihn ein Ruf ins Bundeskanzleramt. Beitrag hier herunterladen.

Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) verwaltet nach dem Bund das zweithöchste öffentliche Budget in Österreich mit 41 Milliarden Euro Bilanzsumme und insgesamt 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – um nur einige imposante Eckdaten der PVA zu nennen.

Die vergangenen Jahrzehnte waren im Sozialversicherungsbereich (bestehend aus Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung und Pensionsversicherung) durch große Reformen geprägt.

Einer der bedeutendsten Reformschritte war wohl die im Jahr 2003 durchgeführte Fusion der Pensionsversicherung der Angestellten mit jener der Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Reform war sowohl politisch als auch organisatorisch eine Herkulesaufgabe und brachte mit der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) eine Institution hervor, die sich in einer extremen Umbruchsituation befand und mit vielen Herausforderungen konfrontiert war.

 

Eine Fusion ist nie lustig.

 

Eine weitere große Reform bezog sich auf die Einführung des „Pensionskontos“ im Jahr 2014. Während die Pension bis dahin hauptsächlich auf Grund eines bestimmten Durchrechnungszeitraums berechnet wurde, wird sie seither transparent und nachvollziehbar über die gesamte Lebensdauer durchgerechnet. Dadurch ergaben sich zahlreiche neue Fragestellungen und Anforderungen an die Pensionsversicherungsanstalt, welche die Modernisierung und Digitalisierung innerhalb des Unternehmens massiv vorangetrieben haben.

Auch die jüngst durchgeführte Strukturreform der Sozialversicherung brachte weitreichende Änderungen für den Sektor mit sich. Hierbei ist insbesondere die Zusammenführung von Sozialversicherungsträgern zu betonen, im Zuge derer die neun Gebietskrankenkassen fusioniert wurden.

In ihrer Gesamtheit haben die Reformen die Arbeit in den genannten Institutionen nachhaltig verändert. Kooperationen wurden gestärkt, die Digitalisierung wurde vorangetrieben und die Autonomie der Einheiten erhöht. Das operative Geschäft liegt nunmehr verstärkt – analog zu Entwicklungen in anderen öffentlichen Institutionen – beim Management, was nicht nur eine größere Sachorientierung ermöglicht, sondern sich auch positiv auf die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgewirkt hat. Wie stark sich die Arbeitsprozesse verändert haben, lässt sich auch bildlich veranschaulichen. So ist es heutzutage kaum denkbar, dass vor nicht allzu langer Zeit in der Pensionsversicherungsanstalt noch mit Papierakten gearbeitet wurde und rund 3.000 Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter morgens ihre Akten erhielten, diese tagsüber bearbeiteten und abends wieder der Kanzlistin/dem Kanzlisten übergaben.

Man kann sich vorstellen, dass diese Umstellungen und Reformen durchwegs mit „Schmerzen“ verbunden waren und nicht von allen gleichermaßen freudig umgesetzt wurden. Erfreulicherweise zeigte sich aber auch, dass Unternehmenskulturen nachhaltig gewandelt werden können, wenn der (politische) Wille vorhanden ist und entsprechende Strukturen etabliert werden können. Genau das ist ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg von Neuerungen.

 

Wer die Herausforderungen früh genug annimmt, wird von Reformen und Änderungen profitieren.

 

Um von Reformen und Änderungen langfristig profitieren zu können, ist es wichtig, sich den Herausforderungen proaktiv zu stellen und diese frühzeitig anzunehmen. Das hat sich auch in der Corona-Pandemie klar gezeigt. Unternehmen, die der digitalisierungsgetriebenen Umbruchsituation aktiv begegnet sind und entsprechende Modernisierungsmaßnahmen frühzeitig vorangetrieben haben, konnten die coronabedingten Schwierigkeiten wesentlich besser meistern und manchmal sogar davon profitieren. In der Pensionsversicherungsanstalt war beispielsweise der prozessgesteuerte, digitale Akt so weit vorangeschritten, dass schon vor dem verpflichtenden Homeoffice die notwendigen Strukturen vorhanden waren und die Tätigkeiten im Lockdown reibungslos fortgeführt werden konnten. Aufgrund des reduzierten Antragsverhaltens konnten in dieser Zeit sogar Aktenrückstände verringert werden.

Wenn man Veränderungen und Innovationen umsetzen möchte, stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: Inwiefern darfst du? Wie sehr lassen sie dich? Und wo sind die Hemmschuhe? Der Chefetage kommt also eine wichtige Bedeutung zu, denn sie muss Freiheit, Dynamik und Autonomie gewähren und vorleben, um zielgerichtete Veränderungen überhaupt erst zu ermöglichen. Mit einer dynamischen Chefin bzw. einem dynamischen Chef sind kaum Grenzen gesetzt, andernfalls tritt man oft auf der Stelle.

Auch in der Pensionsversicherungsanstalt herrschte lange eine Einstellung vor, die sich mit „Können wir nicht, brauchen wir nicht, da müssen wir noch nachdenken“ zusammenfassen lässt. Diese Haltung wurde auch dadurch überwunden, dass gemeinsam ein Masterplan erarbeitet wurde, wo die Sinnhaftigkeit und Effizienz aller Aktivitäten analysiert und entsprechende Maßnahmen (Kundinnen- bzw. Kundennähe, Digitalisierung) fixiert wurden. Es gab damals keine heiligen Kühe, die unantastbar gewesen wären. Das Ziel war es, diesen statisch orientierten staatlichen Betrieb in ein neues Zeitalter überzuführen.

Letztlich ist dieser Prozess überraschend schnell aufgesetzt worden und heute wird die Umsetzung von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern goutiert. Eine transparente und offene Kommunikation war hierbei essentiell, um Hindernisse zu überwinden. Wenn beispielsweise eine Abteilung nicht effizient arbeitet, muss zuerst transparent dargestellt werden, welche Kennzahlen betroffen sind, bevor Änderungen offen diskutiert und in weiterer Folge implementiert werden können.

 

Um Reformen umzusetzen, braucht es Transparenz.

 

Das Problem ist jedoch, dass im öffentlichen Sektor Transparenz nicht gerade großgeschrieben wird und somit häufig die Basis fehlt, um Veränderungsprozesse verständlich zu machen. Ein Beispiel: Bis ins Jahr 2019 erhielten externe Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer von Gesetzes wegen keine Einblicke in die Wirtschaftslage der Pensionsversicherungsanstalt. Dabei sind diese Einblicke von außen eine wesentliche Voraussetzung, um Risiken zu erkennen und weiterführende Entscheidungen zu treffen.

Ein weiteres Thema, welches immer wieder auf Skepsis stößt, ist die fortschreitende Zentralisierung von Aufgaben. Es gibt zweifelsohne gute wirtschaftliche Gründe für diese Bestrebungen, gleichzeitig muss man jedoch anerkennen, dass hierbei auch die Gefahr besteht, die Nähe zu den Versicherten zu verlieren. So berichten lokale Funktionärinnen und Funktionäre immer wieder, dass sie den Kontakt zur Basis verlieren. Insofern ist diese Skepsis nicht nur auf den Machtverlust der dezentralen Bereiche zurückzuführen, sondern hat auch seine sachliche Berechtigung. Je größer ein Unternehmen ist, desto standardisierter agiert es oftmals. Ein Vorsorgekonzept in Tirol muss aber anders aussehen als jenes in Wien. Es bedarf also Verständnis und Augenmaß, um Effizienzen zu heben, ohne lokalen Bedürfnissen zuwiderzuhandeln.

Im Hinblick auf die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war es wichtig, dass sie größere Autonomie und Verantwortung erhalten. Wer Veränderungen durchsetzen will, muss Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gegenzug entsprechende Freiheiten einräumen. Monetäre Anreize sind prinzipiell ebenfalls wichtig, müssen aber jedenfalls mit Leistung verbunden sein, um motivierend zu wirken. Kontraproduktiv wiederum wirkt sich eine Intransparenz bei der Postenbesetzung aus, wodurch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gefühl erhalten können, dass ihr berufliches Vorankommen vom Parteibuch oder anderen nicht objektivierbaren Gründen abhängig ist. In den letzten Jahren hat sich die diesbezügliche Situation bereits drastisch gebessert.

Die öffentliche Verwaltung muss anerkennen, dass sie auch für die Außenwahrnehmung ihrer Leistungen verantwortlich ist. Sie muss proaktiv Kommunikation betreiben und Informationen verbreiten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Gesellschaft und auch die Ansichten, die innerhalb dieser Gesellschaft vorherrschen, verändert. Jede Information muss sich auf wenige hundert Zeichen reduzieren lassen, für jeden Misserfolg muss eine Schuldige bzw. ein Schuldiger gefunden werden. Eine fundierte Analyse und eine kritische Überprüfung von Informationen durch die Medien finden kaum mehr statt – Bezahlmedien sind auf dem Rückzug, kostenfreie Informationen aus dem Internet auf dem Vormarsch. Social Media sind dieser Situation nicht gerade zuträglich. In Summe sind heutzutage Meinungen oftmals wichtiger als Fakten geworden. Der Journalismus unterscheidet dies immer weniger.

 

Meinungen sind oftmals wichtiger als Fakten.

 

Privatwirtschaftliche Unternehmen haben dies bereits verstanden. Sie managen professionell ihre Außenwahrnehmung und beeinflussen aktiv Meinungen und Stimmungen in Social Media und darüber hinaus. So kritisch man diesen Entwicklungen gegenüberstehen mag, auch die öffentliche Verwaltung wird lernen müssen, damit umzugehen und ihre Themen entsprechend zu positionieren, um deren Wahrnehmung positiv zu steuern.

Die derzeitige Stimmung gegenüber den staatlichen Institutionen wie etwa Gemeinden, Ländern oder Gebietskörperschaften ist bereits sehr negativ. Politikerinnen und Politiker haben in der Hoffnung auf bessere Umfragen und Wahlerfolge bisher einfach neue staatliche Unterstützungen und Leistungen versprochen. Dieser Mechanismus hat lange funktioniert, stößt aber immer stärker an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Angesichts dessen wäre es wohl besser, Maßnahmen verständlicher zu begründen, zu kommunizieren und aktiv daran zu arbeiten, die öffentliche Meinung positiv zu beeinflussen, anstatt noch mehr Geld für zusätzliche Leistungen in die Hand zu nehmen.

Auch die Pensionsversicherungsanstalt erklärt den Betroffenen gewisse Entscheidungen zu wenig. Es werden zwar lange juristische Erläuterungen übermittelt, warum etwa eine Invaliditätspension versagt wurde, aber diese rechtlich notwendigen Ausführungen kann ein Durchschnittsbürger oftmals nicht nachvollziehen – dies liegt an der Komplexität der gesetzlichen Materie. Die Pensionsversicherungsanstalt hat hier das gleiche Kommunikationsproblem zu verantworten wie auch andere öffentliche Institutionen und es stellt sich die Frage, wie man effizient und zielgruppenorientiert mit Betroffenen kommunizieren könnte. Wenn das gelingt, wird sich auch die Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung wieder verbessern.

Aufgrund der immer fortschreitenden Digitalisierung bieten sich in der Zukunft viele neue Chancen und Möglichkeiten, um die Effizienz zu erhöhen oder neue Angebote zu kreieren. Zukünftig wird es beispielsweise wesentlich besser möglich sein, auf die individuellen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden einzugehen. Bisher hat man sich um ein hohes Maß an Standardisierung bemüht, vor allem um Missbrauch zu verhindern. Jetzt aber stehen geeignete Daten und Parameter zur Verfügung, um individuelle Lösungen und Angebote für die Betroffenen zu gestalten, anstatt für alle denselben Maßstab anzulegen. Ausmaß und Frequenz von Reha-Aufenthalten könnten zum Beispiel so wirklich ganz individuell gestaltet werden. Die Daten würden es sogar erlauben, Lösungen für Menschen zu finden, bevor diese selbst das Problem erkannt haben oder wahrhaben wollen. So könnten die Gesundheitsdaten genutzt werden, um proaktiv Rehabilitationsaufenthalte zu ermöglichen, noch bevor die Versicherten beispielsweise durch einen Bandscheibenvorfall oder ein Burnout entsprechend lange beruflich ausfallen oder berufsunfähig werden.

 

In Zukunft werden wir individuelle Lösungen anbieten können, die auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind.

 

Dabei ergibt sich eine spannende Gratwanderung zwischen Datenschutz und modernem individuellem Serviceangebot. Denn einerseits sind Gesundheitsdaten entscheidend, um frühzeitig auf die Bedürfnisse der Versicherten reagieren zu können, andererseits bergen solche Daten auch immer ein gewisses Missbrauchsrisiko in sich. Da bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses, inwiefern Daten hierfür zur Verfügung stehen sollen. Derzeit pflegt Österreich einen vorwiegend passiven Zugang und aus Datenschutzgründen bzw. aus Angst vor Datenmissbrauch werden nur sehr wenige der theoretisch vorhandenen Möglichkeiten genutzt. Langfristig wird man hier womöglich aktiver tätig werden müssen, um entsprechende Serviceleistungen anbieten zu können.

Neben diesen Chancen und Möglichkeiten für die externen Anspruchsgruppen muss auch überlegt werden, wie wir die Organisation intern neugestalten wollen. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren, mitunter auch durch die Corona-Pandemie, massiv verändert (Stichwort Homeoffice). Wir werden uns die Fragen stellen müssen, wer noch in die öffentliche Verwaltung geht und wen wir umgekehrt in der öffentlichen Verwaltung eigentlich haben wollen.

Oft besteht die Vorstellung, Menschen würden in der öffentlichen Verwaltung arbeiten wollen, um dort „eine ruhige Kugel zu schieben“ und dann gemütlich in Pension zu gehen. Aber diese Sichtweise ist längst veraltet, die große Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leistet fantastische Arbeit und viele Jobs bringen spannende Herausforderungen mit sich, die auch für die individuelle Karriereleiter wertvoll sein können.

 

Neugierde ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

 

Die Antwort auf die Frage, wen wir eigentlich in der öffentlichen Verwaltung haben wollen, ist einfach: Wir benötigen Menschen, die neugierig sind. Zuverlässigkeit ist wichtig, aber nur mit Neugierde kommen wir weiter. Das heißt aber auch, dass ein Dienstgeber in der Lage sein muss, diese Neugierde durch spannende Herausforderungen zu befriedigen.

Dieser Beitrag basiert auf einem Interview mit Winfried Pinggera, das im Juli 2021 per Videokonferenz durchgeführt wurde. Der Inhalt dieser Gespräche wurde zusammengefasst und anschließend gemeinsam mit dem Gesprächspartner redigiert. Die Inhalte geben ausschließlich die Meinung des Interviewpartners wieder.

 

Kontakt

Assoz. Prof. Mag. Dr.rer.soc.oec.

Robert Rybnicek

Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship

Telefon:+43 316 380 - 7355


Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Zusatzinformationen:

Ende dieses Seitenbereichs.