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Scherz-Schaar, Brigitte (2022): Weniger Regelungen – mehr Eigenverantwortung

Brigitte Scherz-Schaar wurde im Juni 2020 als erste Frau Österreichs zur Landesamtsdirektorin bestellt und steht an der Spitze der steiermärkischen Landesverwaltung. Sie studierte an der Universität Graz Rechtswissenschaften und arbeitete nach ihrem Gerichtsjahr im damaligen Unterrichtsministerium, wo sie im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen auch in Brüssel tätig war. Im Jahr 1996 wechselte sie in den steirischen Landesdienst. Sie bekleidete dort verschiedene Funktionen und war unter anderem für Verwaltungsreformen, Innovation und strategisches Projektmanagement zuständig. Beitrag hier herunterladen.

Die Landesamtsdirektion ist für alle den inneren Dienst betreffenden Angelegenheiten der Dienststellen des Landes Steiermark zuständig. Als solche ist sie damit befasst, Verwaltungsabläufe möglichst effizient und effektiv zu gestalten und für einheitliche und zeitgemäße Standards zu sorgen. In der Steiermark sind in die Landesamtsdirektion u.a. auch die Stabsstelle Verwaltungsreform und Innovation, die Interne Revision, das Protokollreferat, die Kommunikation Land Steiermark und der Katastrophenschutz integriert.

Auf Landesebene hatten die umfangreichen Reformmaßnahmen der letzten Jahre unterschiedliche Schwerpunkte. So wurden Reformen durchgeführt, die stark nach außen sichtbar waren und von den Bürgerinnen und Bürgern aktiv wahrgenommen wurden. Hier ist allen voran neben der Verkleinerung des Landtages die Gemeindestrukturreform zu nennen, im Zuge derer die Anzahl der Gemeinden von 542 im Jahr 2010 auf 287 im Jahr 2015 reduziert worden ist. Die durchschnittliche Einwohnerinnen- und Einwohnerzahl hat sich dadurch von 1.754 auf 3.293 Bewohnerinnen und Bewohner erhöht. Politisch gesehen war es ein komplexes und herausforderndes Projekt, das in dieser Form erst durch das Zusammenwirken der politischen Kräfte im Land möglich wurde.

Daneben gab es aber auch Reformen, die von der Bevölkerung weniger stark wahrgenommen wurden, sich jedoch massiv auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirkten, wie die Reorganisation des Amtes der Landesregierung verbunden mit einem neuen Standort- und Gebäudekonzept. Die Bezirksreorganisation aus dem Jahr 2013 brachte die Zusammenführung von Bezirkshauptmannschaften mit sich. Eine Maßnahme, die nicht unbedingt Freude bei den regionalen Politikerinnen und Politikern ausgelöst hat und vielleicht auch deshalb trotz diesbezüglicher Empfehlungen des Rechnungshofes keine Nachahmung in anderen Bundesländern gefunden hat.

Und schließlich gab es auch zahlreiche Reformen und Innovationen, die gänzlich unbemerkt im Hintergrund realisiert wurden und deren Ergebnis in der Erhöhung der Geschwindigkeit und der Qualität der Leistungen sichtbar wird. Beispielhaft seien hier die Einführung des elektronischen Akts, die Wirkungsorientierung, die Einführung von Managementinformationssystemen oder die Implementierung einer Vielzahl von betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten genannt.

 

Die öffentliche Verwaltung braucht ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. In vielen Bereichen sind wir vorbildlich aufgestellt.

 

Im Großen und Ganzen haben diese Reformen ihre Ziele erreicht. Effizienz und Effektivität konnten gesteigert und Kosten gesenkt werden. Die Änderungen haben insbesondere auch zu einem geänderten Zugang innerhalb der öffentlichen Verwaltung geführt, die heutzutage proaktiv auf aktuelle Herausforderungen reagiert. In vielen Bereichen steht die öffentliche Verwaltung vorbildlich da und braucht den Vergleich mit der Privatwirtschaft nicht zu scheuen. Das hat sich unter anderem beim coronabedingten Lockdown gezeigt, wo innerhalb von wenigen Tagen tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Anbindung an das Landesdatennetz ihre Arbeit ortsunabhängig aus dem Homeoffice erledigen konnten und das Leistungs- und Aufgabenspektrum trotz Lockdown weitgehend aufrechterhalten wurde.

Der gesellschaftliche Wandel hat die Rolle der öffentlichen Verwaltung massiv verändert. Diese ist keine Obrigkeit mehr, für die man Bittstellerin bzw. Bittsteller ist, sondern sie ist eine Serviceeinrichtung geworden, an die sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anliegen wenden. Das hat Auswirkungen auf den Anspruch, der an die Verwaltung gestellt wird. Heutzutage wird Bürgerinnen- und Bürgernähe erwartet, während abgehobene und weltfremde Bürokratie scharf kritisiert wird. Schnelle und transparente Verfahren, freundliche und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ein flexibles Agieren entlang der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger sind Erfordernisse, denen sich die Verwaltung stellen muss. Um dem gerecht zu werden, gilt es auch, Entwicklungen zu antizipieren und notwendige Strukturen und Instrumente zur Verfügung zu stellen.

Die Schwierigkeiten ergeben sich hierbei im Detail, denn eine Institution, die primär hoheitliche Entscheidungen zu treffen hat, benötigt einen differenzierten Zugang zu Themen. Wo beispielsweise Führerscheine entzogen werden müssen oder Genehmigungsbescheide negativ ausfallen, kann es nicht darum gehen, jeden Kundinnen- und Kundenwunsch zu erfüllen, vielmehr geht es hier um schnelle und transparente Verfahren. Mit anderen Worten, in manchen Bereichen wird es möglich sein, privatwirtschaftliche Servicestandards zu etablieren, in anderen wird das nicht möglich sein. Diesen differenzierten Zugang zu vermitteln, ist nicht ganz leicht, denn nicht alle wollen anerkennen, dass Bescheide nicht aus willkürlichen Gründen negativ ausfallen, sondern weil es die Gesetzeslage so gebietet. Noch schwerer wird es dann, wenn die Gesetzeslage in den Augen der Betroffenen unverständlich oder sinnlos ist.

Eine weitere Herausforderung stellt die große Regulierungs- und Normenflut dar, mit der die öffentlichen Institutionen konfrontiert werden. Die Rechtslage ändert sich immer schneller und wird immer komplexer, viele verschiedene Vorschriften von EU-, Bundes- und Landesebene sind zu berücksichtigen und auch die Qualität der Rechtssetzung hat spürbar nachgelassen. Nicht immer wird auf die tatsächliche Vollziehbarkeit geachtet, vielmehr werden die Behörden und Ämter in der Umsetzung oftmals alleine gelassen. Salopp formuliert, manches ist einfach nicht durchführbar oder sorgt bei rechtskonformer Umsetzung für großen Unmut innerhalb der Bevölkerung (z.B. verordnungsgemäß betriebene „Corona-Grenzkontrollen“ im Sommerreiseverkehr). Hier ist auch die Politik in die Pflicht zu nehmen, denn so mancher politische Kompromiss erschwert die Vollziehung und Akzeptanz bei der Bevölkerung – und das nicht erst seit Pandemiezeiten.

Ist die Verwaltung in der Krise? Vermutlich nicht stärker als andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auch. Die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger ist ebenso gestiegen wie die Erwartungshaltung der Kundinnen und Kunden im privatwirtschaftlichen Kontext. Der Druck auf die Institutionen ist größer geworden und vieles hat sich beschleunigt – Stichwort Digitalisierung.

 

Ich sehe die Verwaltung in keiner Krise.

 

Zum Zeitgeist gehört es außerdem, seinen (berechtigten oder unberechtigten) Unmut – immer öfter auch über soziale Medien – nach außen zu tragen. Schlechte Erfahrungen werden hierbei natürlich eher geteilt als die vielen positiven Kontakte mit der öffentlichen Verwaltung. Und auch die von der Politik geschürten Versprechungen, wofür der Staat Vorsorge treffen wird, wurden zu oft von der Realität eingeholt.

Dies mögen Gründe dafür sein, warum sich das Image der öffentlichen Verwaltung und die in den Köpfen der Menschen vorhandenen Vorstellungen von Beamtinnen und Beamten kaum geändert haben. In den meisten Fällen hat dieses Bild aber wenig mit der Realität zu tun. Die Verwaltung ist in den letzten Jahren sicherlich besser, effizienter und flexibler geworden, insofern wird es in Zukunft auch darum gehen, verstärkt am Image zu arbeiten.

Das soll keineswegs heißen, dass es nicht vielfach weiteren Verbesserungsbedarf gäbe. Schon alleine der permanent vorhandene Budget- und Ressourcendruck, geänderte gesellschaftliche Ansprüche und technische Neuerungen werden dazu führen, dass der Änderungs- und Adaptierungsprozess des öffentlichen Sektors noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Aber der Ursprung vieler Probleme liegt oft nicht darin, dass es sich um öffentliche Institutionen, sondern um große Institutionen handelt. Und diese haben – egal ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Bereich – mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen, die etwa deren Inflexibilität, Trägheit und Hierarchiedenken betreffen.

Eine wichtige Aufgabe wird es zukünftig sein, qualifiziertes Personal für die öffentliche Verwaltung zu finden. Die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und an deren Führungskräfte haben sich geändert. Die öffentliche Verwaltung benötigt für die Herausforderungen der Zukunft motivierte, flexible und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Neben der Fachexpertise ist außerdem verstärkt Managementkompetenz gefragt, um nicht nur fachlich richtige, sondern auch ökonomisch effiziente Lösungen zu finden. Aber bereits jetzt ist es oft schwer, Stellen erfolgreich nachzubesetzen. Die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung und die damit verbundene Arbeitsplatzsicherheit sind offenbar keine durschlagenden Argumente mehr.

 

Es gibt Stellen, für die sich die Bewerberinnen und Bewerber früher im Stadtpark duelliert hätten, und heutzutage können wir sie kaum besetzen.

 

Die Verwaltung muss folglich verstärkt darauf achten, Angebote zu schaffen, die für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch im Sinne der Work-Life-Balance attraktiv sind. Das können beispielsweise flexible Teilzeitmodelle sein oder die Möglichkeit, verstärkt von zuhause arbeiten zu können. Im Vergleich zur Privatwirtschaft hat die öffentliche Verwaltung hier den Nachteil, weniger flexibel agieren zu können. Relativ starre Lohnschemata und vorgegebene Karrierewege bieten wenige Möglichkeiten, Anreize und Belohnungen für gute Leistungen zu schaffen und gleichzeitig fehlen oft Durchgriffsmöglichkeiten bei negativem Verhalten und mangelnder Leistungsbereitschaft. Diesbezüglich bedarf es in Zukunft überarbeiteter rechtlicher Rahmenbedingungen und insbesondere mehr Flexibilität im Dienstrecht.

Wenn wir von flexiblen Arbeitsformen sprechen, müssen wir uns zusätzlich die Frage stellen, was es konkret für eine Behördenorganisation heißt, wenn verstärkt Homeoffice genutzt werden soll. Welche Standorte braucht es dann überhaupt noch? Welche Leistungen müssen angeboten werden und in welcher Form müssen diese Angebote bestehen? Im öffentlichen Sektor ist das keine rein fachliche oder ökonomische Entscheidung, sondern es sind auch regionalpolitische Aspekte und Zielgruppeninteressen – beispielsweise Stichwort Inklusion oder Gleichstellung – zu berücksichtigen.

Wir werden uns überhaupt der generellen Frage zuwenden müssen, welche Leistungen und Services die Verwaltung im Sinne des Gemeinwohls für die Gesellschaft anbieten muss. Die letzten Jahrzehnte waren überwiegend davon geprägt, die bestehenden Leistungen besser oder effizienter zu gestalten. In Zukunft wird verstärkt darauf zu achten sein, ob diese Leistungen überhaupt notwendig sind und inwiefern der Staat hier regelnd eingreifen soll. Wie sich erst jüngst gezeigt hat, kann der Staat weder alle schützen noch kann er alles regeln. Hier muss den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Eigenverantwortung übertragen werden. Viel zu oft werden Regelungen getroffen, die jede Eventualität vorwegzunehmen versuchen, um den Betroffenen Entscheidungen abzunehmen. Das mündet in einer Regelungsflut, die ohnehin kaum mehr exekutierbar ist und trotzdem noch immer Fragen offenlässt. Vielleicht sollten manche Bereiche wieder stärker dereguliert werden, um bessere und flexiblere Lösungen für den Einzelfall zu erlauben.

 

Wir brauchen mehr Mut zur Lücke.

 

Das bedeutet aber auch, dass die Verwaltung Verantwortung übernehmen muss. Dazu benötigt es fachlich hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Lage sind, diese Verantwortung auch wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen, sowie Führungskräfte, die ihr Personal entsprechend leiten können und hinter diesem stehen (Stichwort Fehlerkultur). Dann wird die öffentliche Verwaltung den Anforderungen der Zukunft bestens gewachsen sein!

Zur Entstehung dieses Beitrags: Dieser Beitrag basiert auf einem Interview mit Brigitte Scherz-Schaar, das im November 2021 per Videokonferenz durchgeführt wurde. Der Inhalt dieses Gesprächs wurde zusammengefasst und anschließend gemeinsam mit der Gesprächspartnerin redigiert. Die Inhalte geben ausschließlich die Meinung der Interviewpartnerin wieder.

Kontakt

Assoz. Prof. Mag. Dr.rer.soc.oec.

Robert Rybnicek

Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship

Telefon:+43 316 380 - 7355


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