Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Inhalt:

Purrer, Christian (2022): Der wirtschaftliche Druck war entscheidend

Christian Purrer ist seit 2012 Vorstandssprecher der Energie Steiermark. Er studierte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Graz und startete seine Berufslaufbahn am dort ansässigen Institut für konstruktiven Wasserbau. 1989 wechselte er zur damaligen STEWEAG (heute Energie Steiermark) und war für die strategische Ausbauplanung mitverantwortlich. Im Laufe seiner Karriere begleitete er das Unternehmen durch die umfangreichen Reformen der letzten Jahrzehnte und übernahm hierbei unterschiedliche Funktionen und Aufgabenbereiche sowohl im Netz- als auch im Vertriebsbereich. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist er auch Präsident des Allgemeinen Sportverbands Österreichs. Beitrag hier herunterladen.

Gerade die Energiewirtschaft war in den letzten Jahrzehnten großen Änderungen unterworfen, denn die vormals staatlichen Energiebetriebe wurden in privatwirtschaftliche Unternehmen übergeführt. Dies hatte fundamentale Auswirkungen auf den Markt und die Konsumentinnen und Konsumenten sowie auf die Energieunternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Vor mittlerweile mehr als 20 Jahren wurde der Strommarkt liberalisiert. Nachdem zuvor die gesetzlichen Grundlagen geschaffen worden waren, wurde im Jahr 1999 zuerst der Strommarkt für Großabnehmer geöffnet, zwei Jahre später, am 1. Oktober 2001, erfolgte dann die vollständige Öffnung für Privatkundinnen und ‑kunden. Der Wandel, der viele Bereiche der öffentlichen Verwaltung betroffen hat, ist insbesondere im Energiesektor für die Bevölkerung besonders gut wahrnehmbar.

Wenn von der Liberalisierung der Energiewirtschaft und von einem offenen Markt gesprochen wird, dann ist damit ausschließlich der „Vertrieb“ gemeint, nicht jedoch das „Netz“. Denn im Gegensatz zu anderen liberalisierten Sektoren (z.B. dem Mobilfunkbereich) ist der Netzanschluss nach wie vor als Monopol ausgestaltet. Das ist aus ökonomischen und ökologischen Gründen durchwegs nachvollziehbar, denn sonst müssten Stromnetze mehrfach ausgeführt werden.

Das Ziel der Liberalisierung war es, einen Markt zu etablieren und mehr Wettbewerb zu erzeugen. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht. Zwar traten neue, private Mitbewerberinnen und -bewerber in den Markt ein und auch der Handel über die Strombörse findet statt, aber das große europaweite Verbundnetz ist nicht eingetreten. Noch immer ist das Stromnetz relativ kleinräumig strukturiert und ermöglicht (aufgrund der technischen Gegebenheiten der überregionalen Netze) keine großen Stromtransporte über den gesamten Kontinent. Der erwünschte europaweite Wettbewerb im Beschaffungsmarkt ist daher nicht eingetreten.

Auch die Wechselbereitschaft der Kundinnen und Kunden blieb unter den Erwartungen. Obwohl der Markt heute vollkommen frei ist, wechselten weniger als zehn Prozent der privaten Haushalte den Anbieter. In der Industrie liegt die Wechselquote immerhin bei ca. 50 Prozent. In Summe ist daher auch am Absatzmarkt zu wenig Bewegung vorhanden. Dies mag mitunter den starken Bemühungen der regionalen Anbieterinnen und Anbieter geschuldet sein, die sehr stark am Image und am Kundenservice gearbeitet haben, um Wechselambitionen erst gar nicht aufkommen zu lassen und den vorhandenen Kundinnen- und Kundenstamm zu halten.

Verglichen mit anderen Sektoren ist der Wettbewerb nicht ausreichend groß geworden, um eine stärkere Dynamik zu erzeugen. Und trotzdem war die Reform in Summe erfolgreich, denn sie hat bei den öffentlichen Energiekonzernen einen internen Wandel induziert, der zu mehr Effizienz und Effektivität geführt hat. Während beispielsweise bis 1996 kein einziger Schilling Dividende bezahlt wurde, kann die Energie Steiermark heutzutage jährlich zwischen 40 und 60 Millionen Euro Dividenden an die Eigentümerinnen und Eigentümer ausschütten. Betrachtet man die Personalstände vor und nach der Liberalisierung, so kann festgestellt werden, dass der Betrieb früher wohl personell überbesetzt war. Unternehmerisch hatte die Liberalisierung also beträchtliche Erfolge, etwa im Hinblick auf Prozessoptimierungen, Personal und die wirtschaftliche Performance. Auch was neue Dienstleistungen für Kundinnen und Kunden betrifft, können heute viele Angebote erbracht werden, die früher nicht möglich gewesen wären.

 

Der wirtschaftliche Druck war für den Wandel entscheidend.

 

Der wirtschaftliche Druck war für diese positive unternehmensinterne Entwicklung entscheidend und der entstand vor allem durch den Verkauf der Anteile der Energie Steiermark, denn ab diesem Zeitpunkt wurde sehr aktiv darauf geachtet, welche Bereiche profitabel sind und welche nicht. Erst dieser Ergebnisdruck hat zu einem Profitabilitätsschub geführt und das Mindset der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig verändert.

Die Öffnung des Strommarkts wurde seinerzeit von manchen sehr skeptisch gesehen, allerdings haben sich viele Chancen geboten, die vor allem von der jüngeren Generation im Unternehmen erkannt wurden. So war zum Beispiel die Etablierung eines erfolgreichen Vertriebs, der über die eigene Region – bis hin ins Ausland – hinaus tätig werden musste, nicht nur eine interessante Herausforderung, sondern auch eine große unternehmerische Chance. Zahlreiche neue Dienstleistungen wurden entwickelt, um attraktiver für die Kundinnen und Kunden zu werden. Gleichzeitig wurden Einsparungspotenziale analysiert, die sich etwa beim Personal, bei Firmenpensionen und diversen alten Verträgen ergaben. So kam es, dass die Liberalisierung des Strommarkts zwar am Markt nicht die volle Wirkung erzielen konnte, aber dennoch intern sehr große Effekte zeitigte.

Ein öffentlicher Eigentümer bringt zweifelsohne viele Vorteile, etwa Stabilität oder ein besseres Rating. Umgekehrt bringen aber auch nicht-öffentliche Eigentümerinnen und Eigentümer Vorteile. Sie schaffen eine andere Diskussionskultur, bringen neue Perspektiven ein und erzeugen einen gewissen Ergebnisdruck. Außerdem wird die politische Einflussnahme etwa im Hinblick auf Personalentscheidungen reduziert. So haben auch bei der Energie Steiermark die Interventionen der Länder, Städte und Gemeinden seit dem Eintritt privater Eigentümerinnen und Eigentümer sehr stark abgenommen. Der politische Aspekt tritt in den Hintergrund und das Unternehmerische steht nun klar im Vordergrund.

 

Dass die politischen Einflussnahmen zurückgegangen sind, war für das Unternehmerische wichtig.

 

Bis heute konnten die letzten Überreste von Ineffizienzen, die aus der Zeit als öffentlicher Betrieb stammen, noch nicht restlos detektiert werden. Interessanterweise sind im regulierten Netzbereich noch immer mehr Ineffizienzen vorhanden als im deregulierten Vertrieb. Und auch in der Außenwahrnehmung wird die Energie Steiermark von ihren Kundinnen und Kunden noch häufig als Landesgesellschaft wahrgenommen. 20 Jahre nach der Liberalisierung ist also noch immer ein weiter Weg zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen zu gehen.

Eine aktuelle Krise der öffentlichen Verwaltung, die über die stets vorhandenen Vorwürfe an öffentliche Institutionen hinausreicht, kann eigentlich nicht wahrgenommen werden. In der Verfahrensabwicklung und -dauer bestehen allerdings Schwächen, so sind Verfahren oftmals kompliziert, zeitaufwendig und langwierig. Gerade bei großen Projekten ist mit jahrelangen Verzögerungen zu rechnen, bis ein rechtsgültiger Bescheid vorliegt. Dies mag mitunter an der mangelnden Personalausstattung der betreffenden Institutionen oder an der Qualität der Sachverständigen liegen. In seltenen Fällen treten auch ernsthafte Zweifel an der vielgenannten Neuorientierung der öffentlichen Verwaltung auf. Letztlich sind die meisten Vorwürfe jedoch nicht neu. Schon immer war es notwendig, einen proaktiven und lösungsorientierten Zugang zur Verwaltung zu pflegen, um komplexe Projekte und Vorhaben realisieren zu können.

Am Energiesektor werden sich in Zukunft viele neue Möglichkeiten im Vertrieb bieten. So wird beispielsweise der Smartmeter für neue Angebote sorgen, um Geräte optimal einsetzen zu können. In diesem Zusammenhang werden auch neue Verrechnungssysteme benötigt werden, insofern steht ein kompletter Relaunch an. Überhaupt wird es in der Strombranche darum gehen, Innovationen zu etablieren und innovative Angebote zu schaffen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies betrifft zum Beispiel Angebote im Bereich der Elektromobilität oder die Nutzung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Hier wird zu klären sein, welche der zukünftigen Angebote einen zusätzlichen Deckungsbeitrag liefern.

Auch die Themen Personal und Personalentwicklung bieten große Chancen, wenn man etwa an agiles Arbeiten und Innovation im ganzen Konzern oder an Angebote für Teilzeitarbeit und Homeoffice denkt. Es wird immer wichtiger werden, attraktive Möglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen. Gerade für die Energie Steiermark besteht hier großer Handlungsbedarf, denn der Konzern ist überaltert und in den kommenden Jahren werden viele Stellen neu zu besetzen sein. Für den langfristigen Erfolg ist es wichtig, durch gute Personalentscheidungen die Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen.

Der Energiemarkt befindet sich aktuell sehr stark in Bewegung. (Anmerkung: Das Interview mit Herrn Purrer wurde vor Beginn des Ukraine-Kriegs geführt.) Die derzeitige Preisentwicklung im Energiesektor bietet natürlich eine Chance für die ökonomische Entwicklung der Energielieferantinnen und -lieferanten. Die Margen werden steigen und damit auch die Gewinne in der Stromproduktion. Die Branche wird sich aber angesichts der volatilen Preise intensiver mit Hedging-Strategien und Risikomanagement auseinandersetzen müssen und in manchen Fällen wird es notwendig sein, das Risiko an die Endkundinnen und -kunden weiterzugeben.

 

Hohe Energiekosten induzieren auch ein Umdenken in der Bevölkerung.

 

Staatliche Interventionen sind nur beschränkt sinnvoll. Eine Preisdeckelung wäre ein massiver Eingriff in den Markt mit schwerwiegenden Folgewirkungen, denn im Grunde führen hohe Preise auch zu einem Umdenken bei den Kundinnen und Kunden, beispielsweise im Hinblick auf Mobilität, Stromverbrauch und die Anschaffung stromsparender Geräte. Die finanzielle Unterstützung gewisser Bevölkerungsgruppen in dieser Hochpreisphase hingegen ist sicherlich ein gangbarer Weg.

Im Allgemeinen scheinen Interventionen im Absatzmarkt (also bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern) wenig sinnvoll, vielmehr müsste man überprüfen, ob der Beschaffungsmarkt (also die Produzentinnen und Produzenten) funktioniert. Denn wie eingangs erwähnt, haben die bisherigen Reformen vor allem hier noch nicht die erwünschten Effekte erbracht.

Dieser Beitrag basiert auf einem Interview mit Christian Purrer, das im Februar 2022 per Videokonferenz durchgeführt wurde. Der Inhalt dieses Gesprächs wurde zusammengefasst und anschließend gemeinsam mit dem Gesprächspartner redigiert. Die Inhalte geben ausschließlich die Meinung des Interviewpartners wieder.

Kontakt

Assoz. Prof. Mag. Dr.rer.soc.oec.

Robert Rybnicek

Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship

Telefon:+43 316 380 - 7355


Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Zusatzinformationen:

Ende dieses Seitenbereichs.